Müssen bald alle umrüsten?
Die Verkehrsexperten der Länder sind schon lange dafür, der ADAC auch und die Reifenindustrie sowieso: Winterreifenpflicht für alle. Jetzt hat die Bundesregierung die Straßenverkehrsordnung neu formuliert - eine "situationsabhängige Winterreifenpflicht" soll kommen.
Jürgen Pander - Winterreifendebatte:
Ganz klar, hier herrschen
winterliche Bedingungen
Bis zum Ende des Jahres ist geplant, eine Neufassung der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu verabschieden. In Paragraph 2 Absatz 3a soll es dann heißen: "Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwischanlage." Ganz klar, hier herrschen
winterliche Bedingungen
Wer gegen diese Pflicht verstößt und künftig mit Sommerreifen und eingefrorenem Wischwasser über winterliche Straßen fährt, muss mit einem Bußgeld von 20 Euro rechnen. Wird durch ein mangelhaft ausgestattetes Auto zudem der Verkehr behindert, werden 40 Euro fällig. Allerdings will der Bund darauf verzichten, das Flensburger Konto des Verkehrssünders mit einem Punkt zu belasten.
Was aber bedeutet diese Novelle der StVO für die Autofahrer? Muss jetzt jeder auf Winterreifen umrüsten? "Es geht hier nicht um eine Ausrüstungspflicht in jedem Fall", sagt Richard Schild, einer der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. "Es soll vielmehr die bisherige Rechtssprechung präzisiert werden und insbesondere dem bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen auftretenden Missstand begegnet werden, dass Kraftfahrzeuge mangels geeigneter Bereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursacht werden." Das solle durch eine "situationsabhängige Winterreifenpflicht" verhindert werden.
DDP
Winterreifen-Montage:
Hoffen auf den "gesunden
Menschenverstand" Wie das allerdings in der Praxis aussehen wird, ist noch unklar. Wer entscheidet, welche Wetter- und Straßensituation Winterreifen nötig machen? Im Verkehrsministerium sieht man ein, dass Wettersituationen nur schwer juristisch genau zu definieren sind. Das Versäumnis eines Autofahrers, sein Fahrzeug entsprechend auszurüsten, werde vor allem "dann klar, wenn bereits ein Unfall passiert ist", sagt Richard Schild vom Verkehrsministerium. Er hofft außerdem auf den "gesunden Menschenverstand" der Verkehrsteilnehmer, sich nicht mit Sommerreifen auf eine verschneite Autobahn zu begeben.
Dass es mit der kollektiven Vernunft der Autofahrer nicht immer weit her ist, zeigen allerdings alljährlich wieder stundenlange Vollsperrungen von ganzen Autobahnabschnitten, weil sommerreifenbestückte Autos nicht mehr weiterkommen. Um solche Fälle zu verhindern, habe die Polizei laut Schild jetzt "mehr Möglichkeiten, erzieherisch auf die Fahrer einzuwirken". Soll heißen, wer 20 oder 40 Euro zahlt, wechselt vielleicht doch auf Winterreifen.
Ob aber auch schon bei Routine-Kontrollen und den ersten Schneeflocken am Himmel Bußgelder verhängt werden, ist noch unklar. Deswegen sieht man auch beim ADAC noch Handlungsbedarf: So stelle der Gesetzesentwurf bislang "etwas nebulös auf die Wetterverhältnisse ab, aber nicht auf die realen Straßenverhältnisse", heißt es beim Automobilclub. Auch bei den Reifenherstellern begrüßt man naturgemäß die Änderung des Gesetzestextes, ist sich aber über die Konsequenzen nicht ganz sicher.
"Ob und in welchem Umfang die geplante Neuerung von den Autofahrern aufgegriffen wird, hängt von zwei Faktoren ab", sagt Michael Berthel vom Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie. "Erstens davon, wie die Versicherungen in Schadenfällen reagieren, bei dem ein Auto mit Sommerreifen in einen Unfall bei winterlichen Bedingungen verwickelt wird." Und zweitens sei es entscheidend, wie Polizei und Behörden die Neuregelung kontrollieren würden.
Auch beim deutschen Branchenführer Continental sieht man noch Handlungsbedarf. Ralf Hoffmann, Verkehrsexperte beim Hannoveraner Reifenhersteller: "Die Neufassung ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings wirft die Formulierung noch rechtliche Fragen auf, die zügig geklärt werden müssen, um den Autofahrern Rechtssicherheit zu geben." So könne ein Fahrzeughalter beispielsweise fragen, was der Gesetzgeber unter einer angemessenen Bereifung verstehe und wie er sommerliche und winterliche Wetterverhältnisse definiere. Aber noch ist die Novelle ja auch nicht rechtskräftig. Zurzeit liegt sie beim Bundesrat und wartet auf ihre Verabschiedung. Und das wird erst geschehen, wenn eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat.
Quelle: http://www.spiegel.de